Jürgen Nott, CEO von Infinigon, lebt und arbeitet seit 2005 in New York City und findet im Alltag von „Big Apple“ immer wieder überraschende Parallelen zur Makro-Ökonomie, über die er hier berichtet.
Setzt die EZB auf eine Rezession in Amerika?
Jerome Powell hat bei der Pressekonferenz zur letzten Zinsanhebung klar gemacht, dass die FED keine erhöhte Inflation akzeptieren wird. Eine “gesunde” Inflation ist die Voraussetzung für langfristiges Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Die gesunde Inflation sieht Powell aktuell bei 2 – 2,5%. Er hat dabei auch die Kosten der Inflationsbekämpfung, die er in Kauf nehmen wird, klar angesprochen. Hierzu gehören eine höhere Arbeitslosigkeit als Resultat eines sich abkühlenden Arbeitsmarkts, sowie in Teilen auch sinkende Löhne, aber auch ein Rückgang der Immobilienpreise… Bottom Line: „Whatever it takes“.
Diese Haltung kann er sich auch deshalb leisten, weil er für die Anti Inflationspolitik den Rückhalt beider Parteien in Washington hat, was ja aktuell durchaus als bemerkenswert festgestellt werden kann.
Die EZB scheint dagegen aktuell überhaupt keinen akuten Handlungsbedarf zu haben. Dies lässt sich schlichtweg nur mit Ignoranz erklären. Sich nicht einzugestehen, dass man viel zu lange die Lage falsch eingeschätzt hat. Oder auch, dass man politische Stabilität vor Geldwertstabilität setzt.
Allerdings kann man auch durchaus den Eindruck bekommen, dass die EZB auf die FED setzt und dieser die Aufgabe überlässt, die Wirtschaft abzukühlen – selbst sitzt man wohl lieber auf dem Beifahrersitz. Ganz dem alten Motto, wenn Amerika hustet, hat Europa den Schnupfen….
Die amerikanische Wirtschaft wird allerdings dann auch deutlich schneller wieder Fahrt aufnehmen und Europa weiter abhängen. Wie schon in der Finanzkrise und der Pandemie, denn alle in Washington wissen, ohne wirtschaftlichen Erfolg ist alles andere viel, viel schwieriger. Als Resultat – die US-Finanzmärkte erholen sich und scheinen damit eine klare „FED-Kante“ zu schätzen – sie blicken bereits auf die „post Inflations“ Periode.
Vielleicht wäre dies auch mal eine Sichtweise, um die Politik in Europa näher an die Realitäten heranzuführen…
Wie ist die Lage?
Für ein langes Wochenende war ich einige Stunden im Auto und habe mir mal die lokalen Radiosender angehört. Was mir insbesondere in ländlicheren Gegenden extrem aufgefallen ist: Die mit Abstand meiste Werbung war verbunden mit “Cash generieren”… Kreditkarten mit Buy Back Cash, Tankkarten mit Buy Back Cash, aggressive Werbung für Immobilienverkäufe (insbesondere am niedrigeren Ende der Preise, unfertig, oder renovierungsbedürftig) oder Cash durch das Versilbern von Home Equity (also der stillen Reserven auf dem eigenen Haus). Das deckt sich mit der Entwicklung der Inanspruchnahme der Kreditkarten. Also der bei weitem teuersten Kreditlinie, was ein Zeichen ist, dass ein Gros der Konsumenten finanziell sehr angespannt ist. Wie passt das niedrige Verbrauchervertrauen zu den nach wie vor guten Konsumzahlen? Zum einen spiegeln die Zahlen den Nachholbedarf wider, zum anderen wird ein Großteil einfach durch notwendige Güter zu höheren Preisen erklärbar sein.
Allerdings haben die Amerikaner zum ersten Mal (zumindest, seit ich mich erinnern kann) einen Bailout der “Main Street” erlebt, im Gegensatz zum Bailout der Wall Street in der Finanzkrise, oder dem “Bernanke Put” in den Finanzmärkten. Das kann durchaus erklären, warum die Konsumenten weniger kritisch in die Zukunft sehen als es erwartet werden kann. Zumindest wenn man – wie ich – immer noch mit einem Auge durch die schwäbische Brille schaut – kein Geld auszugeben, dass man nicht hat – dazu ein Blick auf die Schuldenuhr in Midtown Manhattan: