nott’s notes

Jürgen Nott, CEO von Infinigon, lebt und arbeitet seit 2005 in New York City und findet im Alltag von „Big Apple“ immer wieder überraschende Parallelen zur Makro-Ökonomie, über die er hier berichtet.

„Living in a box – Living in a cardboard box” oder geht der Amerikanischen Mittelschicht die Luft aus?

von Infinigon GmbH

27. September 2023

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    Jürgen Nott, CEO und Gründer von Infinigon GmbH:

    Der Song geht mir aktuell nicht mehr aus dem Kopf – nur habe ich den Text angepasst: „Livin in a bubble – Living in a finance bubble“

    Die letzten Wochen habe ich in New York und Chicago verschiedene Private Debt Asset Manager getroffen und war verwundert, wie Makrorisiken zum Teil komplett ausgeblendet werden.

    Ein CIO meinte: Er fragt immer seine Kolleginnen und Kollegen, ob sie eine Rezession in ihrem Umfeld sehen? Da wurde mir klar: insbesondere in den USA leben und arbeiten die Asset Manager Kolleginnen und Kollegen seit der Pandemie erst recht in einer “Bubble”. Insbesondere das Private Debt Segment scheint hinsichtlich Deal Size und dem Einkommen der Spezialisten keine Grenzen mehr zu kennen. Das Selbstverständnis hat längst das der großen Investmentbanker als “Master of the Universe” abgelöst, zumindest entsteht der Eindruck auf deren Konferenzen.

    Die Büros der ehemals Nischenspezialisten im Private Credit Segment stehen dem alten Glanz der Banken in nichts mehr nach. Aber der wesentliche Grund, der meines Erachtens zum “Bubble Effekt” beiträgt, ist der gewachsene abgegrenzte Lebensstil vieler Investment-spezialisten seit der Pandemie. Entweder sind diese ganz aus den Städten weggezogen, beispielsweise auf die ländlichen Hamptons, oder in luxeriöse Wohlstandsoasen in Texas und Florida, oftmals in sogenannte “Gated Communities” (geschlossene und bewachte Wohnkomplexe).

    Vor der Pandemie und dem Zwang ins Büro zu kommen waren die Investmentspezialisten gezwungen sich mit der “Durchschnittsrealität” auseinanderzusetzen. Sei es in der Subway, auf dem Highway, oder einfach auf einem anderen Weg ins Büro. Jeden Tag waren meine Kolleginnen und Kollegen hier mit der Realität konfrontiert, was nun abhandengekommen ist. Deshalb wundert es mich nicht, dass meine Gesprächspartner erstaunt sind, wenn ich meine Wahrnehmung der Lage für die “Average People” mit ihnen teile. Sie sehen nicht, was ich und viele Millionen US-Bürger sehen.

    Folgend ein weiteres Beispiel:

    Auf der einen Seite werden bei den US Open in New York bei Rekordbesucherzahlen Rekordpreise für Tickets genommen. Dieses Jahr kosteten selbst die billigsten Tickets für die Nebenplätze über 200 USD im Zweitmarkt und bis zu 20.000 USD für beste Plätze zum Herrenfinale. Die 0.5l Büchse Bier kostete übrigens 15 USD – da können sich die Oktoberfestbrauereien noch eine Scheibe abschneiden. Anmerkung: “So gut kann kein Bier sein, dass es für 15 USD noch schmeckt… (als Schwabe)”. Für Essbares musste man schon 20 USD und mehr hinlegen.

    Auf der anderen Seite ächzt die Masse der Amerikaner unter den generell steigenden Kosten.
    Daher: „Alles muss raus“ – Amerikaner im Downsizing-Modus – aber wie, wenn niemand kauft?

    Für Geschäftstreffen in Boston nehme ich ganz gerne die etwas schönere Route durch Zentral Connecticut. Seit einigen Monaten beobachte ich, dass immer mehr Amerikaner dort alles Mögliche zum Verkauf vor ihr Haus stellen. Downsizing – man trennt sich von allem, was man in besseren Zeiten angeschafft hat und jetzt als „doch nicht mehr unbedingt benötigt“ deklariert.

    Wie bereits in der Finanzkrise, sowie durch die Pandemie hindurch, hat sich gezeigt, dass die Amerikaner weniger Probleme damit haben ihren “gefühlten” Lebensstandard dem anzupassen, was sie für machbar empfinden. Dies erklärt auch den Konsumrausch nach den massiven Hilfen der Regierung.

    Was mir dieses Mal aber auffällt ist, dass alles, was vor Haus und Hof steht, seit Monaten zum Verkauf angeboten wird, aber offensichtlich generell keine Käufer findet.

    Was bedeutet das für die amerikanische Mittelschicht?

    Wir verzeichnen einen Rekordstand der Kreditkartenschulden bei Zinsen von über 25% (p.a.).

    Auch in anderen (nicht Mortgage) Kreditkategorien (wie Auto-Loans und Student-Loans) sehen wir einen massiven Anstieg der Kreditvolumen:

    Auto-Loans: Das ausstehende Volumen ist trotz massivem Zinsanstieg auf einem Allzeithoch

    Das Fazit aus meiner Sicht: Diese Entwicklungen und Maßnahmen sind ein weiteres klares Indiz dafür,
    dass – neben den üblichen Statistiken – der Mittelschicht jetzt auch langsam, aber sicher die finanzielle Luft ausgeht.

    Ihr Jürgen Nott

    Die enthaltenen Aussagen zur Marktlage stellen unsere eigene Ansicht der geschilderten Umstände dar. Hiermit ist weder eine Allgemeingültigkeit noch eine Anlageberatung oder -empfehlung verbunden.
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